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07.08.2019

Respektlos

IST-Absolvent Mike Pickel ist seit über 30 Jahren DFB-Schiedsrichter. Im Interview fordert er die Einführung des Profi-Schiedsrichters auch in Deutschland.

Mike Pickel ist seit über 30 Jahren DFB-Schiedsrichter, hauptberuflich Produktmanager bei Lotto und privat Familienvater. Trotzdem hat er es geschafft, Sportbusiness Management an der IST-Hochschule zu studieren. In seiner Bachelorarbeit hat der 44-Jährige aus der Vulkaneifel den Stellenwert des Schiedsrichters im deutschen Profifußball untersucht. Im Gespräch erzählt der Fußball-Fachmann von Profi-Schiedsrichtern und amateurhaften Strukturen, von Nachdenken und Umdenken beim DFB, von Oliver Kahn und Lionel Messi – und von mangelndem Respekt seinem Amt gegenüber.

Herr Pickel, gibt es Fußballer, die Sie besonders reizvoll finden als Schiedsrichter?
Mike Pickel:
Ich habe in meiner Laufbahn sehr viele Spieler kennengelernt. Ausnahmespieler wie Messi und Ronaldo live zu sehen, macht unheimlich viel Spaß. Besonders reizvoll fand ich jedoch die Spiele mit Oliver Kahn. Er hat immer alles gegeben – und dabei manchmal auch die Grenzen des Erlaubten überschritten.

Oliver Kahn wechselt vermutlich bald ins Management des FC Bayern. Auch Sie haben parallel zu Ihrer Schiedsrichter-Karriere Sportbusiness Management studiert und gerade Ihre Bachelorarbeit an der IST-Hochschule geschrieben.
Pickel:
Von einer Schiedsrichter-Tätigkeit kann man in Deutschland nicht dauerhaft leben. Ich arbeite als Produktmanager bei Lotto Rheinland-Pfalz. Durch das Studium bereite ich die Zeit nach meiner Schiedsrichterlaufbahn vor und möchte dann bei meinem Arbeitgeber in eine Führungsposition wechseln oder ins Sportbusiness gehen.

Vertriebler, Schiedsrichter und Student – klingt wieder ein bisschen nach Oliver Kahn, nach maximalem Ehrgeiz …
Pickel:
Es ist wichtig, sich bereits während der aktiven Laufbahn auf die Zeit danach vorzubereiten. Das gilt übrigens für Schiedsrichter und auch für Fußballer. Das ist zwar arbeitsintensiv, als Fernstudium aber sehr gut möglich.

Wie haben Sie Ihren Job, Ihre Spieltagseinsätze und das Studium unter einen Hut bekommen?
Pickel:
Genau genommen hatte ich sogar noch einen Job, ich war nämlich zu Beginn des Studiums gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Aber via Smartphone, Tablet, Laptop und Studienheften konnte ich ortsunabhängig studieren und mir auch die Zeiten frei einteilen. Anders wäre ein Studium auch für Profischiedsrichter – und Spieler sowieso – nicht möglich.

Sie pfeifen jetzt seit über 30 Jahren, waren als Assistent bei der WM 2010, der EM 2012 und einem Europa-League-Finale im Einsatz – können Sie erklären, was ‚Hand‘ ist?
Pickel (lacht):
Na wenn der Schiri pfeift! Spaß beiseite: In der Geschwindigkeit des modernen Fußballs ist es unglaublich schwer, zu entscheiden, ob ein Handspiel strafbar ist oder nicht. Die neue Regelauslegung, die seit Anfang Juli in Kraft ist, sollte da mehr Klarheit bringen.

Auch für die Millionen von Hobbyschiedsrichtern am Bildschirm und auf der Tribüne?
Pickel:
Ja. Die Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung erfolgte vor allem durch vereinzelte Fehlinterpretationen von uns Schiedsrichtern. Die Vorgaben waren eigentlich klar.

Schiedsrichter-Assistent Mike Pickel im Einsatz.

In Ihrer Bachelorarbeit haben Sie den Stellenwert des Schiedsrichters im deutschen Profifußball untersucht. Mit welchem Ergebnis?
Pickel:
Das Ergebnis der Arbeit ist, dass Bundesliga-Schiedsrichter Leistungssportler sind und vergleichbare physiologische Werte – beispielsweise bei der Laufleistung – bringen wie die Fußballer.

Sie verdienen aber nur einen Bruchteil. Stimmen da die Relationen?
Pickel:
Wir sind nicht da, wo wir sein müssten. Gerade junge Schiedsrichter verlieren durch ihre Tätigkeit große Karrierechancen. Das müsste durch eine adäquate Bezahlung kompensiert werden. Wir sind aber natürlich weit davon entfernt, uns mit den Spielern vergleichen zu wollen.

Die sind ja auch die Hauptakteure.
Pickel:
Richtig. Dennoch müssen die Verbände umdenken. Mit Ehrenamt hat die Tätigkeit eines Bundesligaschiedsrichters und Assistenten nämlich schon lange nichts mehr zu tun.

Das Ansehen deutscher Schiedsrichter auf Verbandsebene ist national wie international hoch. Warum geraten die Schiedsrichter bei den Fans immer wieder in Verruf? Fehlt es da an Wertschätzung?
Pickel:
Viele Fans hätten ein anderes Bild von uns, wenn sie wüssten, was Schiedsrichter dafür leisten müssen, um überhaupt in der Bundesliga pfeifen zu dürfen. Und welchen Aufwand es Woche für Woche bedeutet, seine Leistung auch abrufen zu können. Die Zeiten von Eschweiler und Co. sind lange vorbei. Nochmal: Wir sind Leistungs- und Spitzensportler und sollten auch als solche wahrgenommen werden. Es ist die Aufgabe von Verbänden und auch uns Schiedsrichtern selbst, hier der Öffentlichkeit ein anderes Bild zu vermitteln.

Fehlt es im Fußball insgesamt an Respekt gegenüber Schiedsrichtern? Man denke nur an die jüngsten Eskalationen im Amateurbereich in Duisburg oder aber auch an das permanente Lamentieren und Anzweifeln beinahe jedes Pfiffes, dass es so in anderen Sportarten wie beispielsweise Handball und Basketball schlichtweg nicht gibt.
Pickel:
Ja. Es fehlt ganz klar an Respekt. Das ist ein großes Problem und das ärgert mich sehr. Ich finde solche Ausschreitungen wie in Duisburg beschämend. Besonders schlimm ist auch, dass manche Menschen solche Vorgänge noch verharmlosen. Fußball darf nicht zu einem rechtsfreien Raum werden.

Trotzdem ist es immer wieder der Fußball, in dem Grenzen überschritten werden.
Pickel:
Dass es auch anders geht, zeigen tatsächlich Sportarten wie Handball und Basketball. Das Problem liegt aber schon in der Jugend. Vereine, Trainer und vor allem Eltern leben ihren Kindern das Verhalten vor. Hinzu kommt das, was man jede Woche in den Stadien erlebt. Und einige Profis kommen dabei ihrer Vorbildfunktion nicht oder nicht mehr nach. Es fehlt an Respekt gegenüber unserem Amt. Und wenn hier kein Umdenken stattfindet, werden die Zahlen der Schiedsrichter noch weiter rückläufig sein und es werden nicht mehr alle Spiele mit offiziellen Schiedsrichtern besetzt werden können.

In anderen Ligen wie der Primera División und der Premier League sind Schiedsrichter als Profis für mehrere Jahre angestellt. Wieso nicht auch in Deutschland?
Pickel:
Diese Erkenntnis reift gerade auch beim DFB und bei der DFL. Ich denke, dass wir hier zeitnah Fortschritte machen werden.

Wenn ein Bundesliga-Fußballer einen Schnupfen oder eine Druckstelle am Fuß hat, stehen sofort Ärzte auf dem Rasen. Wenn sich aber ein Schiedsrichter eine ernsthafte Verletzung zuzieht, muss er sich selbst um einen Arzt kümmern – wie kann das sein?
Pickel:
Das ist in den vergangenen 15 Jahren schon deutlich besser geworden. Die medizinische Betreuung wurde deutlich intensiviert und diese soll weiter ausgebaut werden. Das ist auch absolut notwendig, denn wir sind das 19. Team der Bundesliga. Noch haben wir aber leider nicht die gleichen Voraussetzungen wie die anderen 18 Teams.

Sie fordern als Resümee Ihrer Bachelor-Arbeit die Einführung des Profischiedsrichters in Deutschland. Was spricht denn überhaupt dagegen?
Pickel:
Nicht viel. Aber es wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Schwierig ist zum Beispiel das Thema Anschlusstätigkeit. Entweder müssen Schiedsrichter während ihrer aktiven Laufbahn so viel verdienen, dass sie davon leben können – oder man muss ihnen im Anschluss eine andere berufliche Perspektive bieten. Trotzdem bin ich überzeugt, dass unsere Funktionäre auch zu dieser Auffassung kommen werden. Früher oder später.

Weitere Informationen zum Bachelorstudiengang "Sportbusiness Management" finden Sie hier.