12.04.2022
Stellenwert des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht unterschätzen
Am IST-Studieninstitut ist im April erstmalig die neue Weiterbildung „Betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) gestartet. Wir haben mit dem Gesundheitsexperten Sebastian Ehrke über die Wichtigkeit von BEM gesprochen.
Als betrieblicher Gesundheits- und Eingliederungsmanager sowie Inklusionsbeauftragter bei dem Unternehmen amedes, das medizinische Dienstleistungen anbietet, setzt sich Sebastian Ehrke täglich mit Fragenstellungen aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) auseinander. Wir haben uns mit ihm über die Attraktivität eines Jobs im BGM im Allgemeinem und im BEM im Besonderen unterhalten.Herr Ehrke, wie sind Sie an diesen Job gekommen? War die Weiterbildung „Betriebliches Gesundheitsmanagement (IHK)“, die Sie 2015 bei uns absolviert haben, ein Wegbereiter?
Sebastian Ehrke: Bei meinem jetzigen Arbeitgeber amedes wurde das Thema BGM im Jahr 2015 stark vorangebracht und im Rahmen einer Gesamtbetriebsvereinbarung auch schriftlich fixiert. Gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat wurde so die Grundlage für meinen jetzigen Job gelegt. Ich war zu diesem Zeitpunkt als Personalreferent eingestellt und habe mich mit der IST-Weiterbildung „Betriebliches Gesundheitsmanagement (IHK)“ für die Betreuung dieses neuen Bereiches qualifiziert.
Was ist das Besondere an Ihrem Job?
Ehrke: Da ich mich sowohl im BGM als auch im BEM eng an den Bedarfen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen orientiere, bringt mein Job jede Menge Abwechslung mit sich. Das ist einerseits sehr interessant, aber andererseits auch oft sehr arbeitsintensiv, da Lösungen häufig individuell erarbeitet werden müssen.
Wie schätzen Sie den Stellenwert eines erfolgreichen BEM für Unternehmen ein?
Ehrke: Ein strukturiertes BEM ist auf jeden Fall ein hilfreiches Werkzeug bei der Unterstützung von langzeitkranken Mitarbeitern und fördert neben der Reduzierung von krankheitsbedingten Fehlzeiten auch die Unternehmenskultur und die Mitarbeiterbindung. Vor allem vor dem Hintergrund des anhaltenden Fachkräftemangels und dem hohen Stellenwert von Arbeitgeberattraktivität ist das BEM also nicht zu unterschätzen.
Können Sie es mal konkreter machen? Sagen wir, ein Mitarbeiter kommt nach langer Krankheit zurück an den Arbeitsplatz. Wie holen Sie ihn möglichst erfolgreich wieder in den Arbeitsprozess?
Ehrke: Idealerweise beginnt das BEM schon vor der tatsächlichen Rückkehr und soll gemeinsam mit den betroffenen Akteuren den optimalen Weg für den Wiedereinstieg ebenen. Hierbei ist es wichtig, dass betroffene Mitarbeiter in einem datengeschützten Rahmen über die Ursache der krankheitsbedingten Fehlzeiten und die eigenen Erwartungen an die Wiedereingliederung sprechen können. Daraus ergeben sich dann Überlegungen zu konkreten Maßnahmen, wie z.B. eine Reha, eine stufenweise Wiedereingliederung oder Anpassungen am Arbeitsplatz. Je nach Maßnahme ist dann auch das Einbeziehen weiterer Akteure in den BEM-Prozess erforderlich. Dies können die direkten Führungskräfte, Betriebsräte, Schwerbehindertenvertretungen, Integrationsämter oder die Sozialversicherungsträger sein. Gemeinsam wird die Umsetzung der Maßnahmen begleitet und auch evaluiert. Gegebenenfalls müssen weitere Maßnahmen entwickelt oder die bestehenden Maßnahmen angepasst werden. Im Falle der erfolgreichen Rückkehr kann das BEM anschließend beendet werden.
Mitarbeiter können nach längerer Krankheit oft nicht mehr die gleiche Leistung bringen. Manchmal wird das von Vorgesetzten und Kollegen nicht akzeptiert. Wie kann man einer solch schwierigen Situation vorbeugen?
Ehrke: Leistungsminderung kommt nicht nur mit einer vorangegangenen Erkrankung daher, sondern betrifft uns alle im Laufe unseres Arbeitslebens. Daher ist es generell wichtig, eine Gesprächskultur zu entwickeln, die sich offen mit diesem Thema befasst. Eine Minderung oder Veränderung der Arbeitsleistung kann heutzutage mit vielen Möglichkeiten ausgeglichen werden. Die Arbeitgeber sollen dabei nach dem sogenannten „TOP-Prinzip“ vorgehen und gegenüber den Betroffenen zuerst die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen (T) Hilfsmitteln ausschöpfen, dann (arbeits-) organisatorische (O) Anpassungen anbieten und letztendlich auch in der Person (P) liegende Möglichkeiten der Unterstützung besprechen. Interne Aufklärung und Schulungen zu diesen Themen und das konsequente Umsetzen der Führsorgepflicht ist die die beste Grundlage für eine optimale Eingliederung.
Ohne den betroffenen Mitarbeiter läuft beim BEM nichts. Wie schaffen Sie es, den Mitarbeiter von einer konstruktiven Mitarbeit zu überzeugen?
Ehrke: BEM wird nicht selten als Vorstufe einer krankheitsbedingten Kündigung wahrgenommen, und wer nach langer Krankheit eine Einladung zum BEM erhält, ist daher oft auch skeptisch. Um mit diesem Vorurteil aufzuräumen und die BEM-Berechtigten zu ermutigen, sich am BEM zu beteiligen, finde ich zwei Punkte wichtig:
Erstens: BEM-Berechtigte darüber aufklären, dass die Ziele von BEM die Wiederherstellung und der langfristige Erhalt der Arbeitsfähigkeit, sowie die Sicherung der Arbeitskraft bzw. des Arbeitsplatzes sind!
Zweitens: Im BEM gilt Datenschutz und Freiwilligkeit. Alles was besprochen wird, darf nur durch schriftliche Zustimmung des Betroffenen weitergegeben werden. Wenn Ihr Gegenüber Vertrauen in Sie fasst, dann öffnet er sich in der Regel auch dem BEM-Prozess. Von daher würde ich ein hohes Maß an Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Verlässlichkeit als wichtige Voraussetzungen für die Funktion des BEM-Beauftragten benennen.
Warum sollten Interessierte unsere Weiterbildung besuchen, wenn sie sich doch auch einfach in Gesetzestexte einlesen könnten?
Ehrke: Gesetzestexte zu kennen ist nur ein Teil von BEM. Die eigentliche Arbeit beginnt im Gespräch mit den Betroffenen. Hierbei ist es hilfreich, durch eine erfahrene Referentin bzw. Referenten einen praxisnahen Einstieg in das BEM-Thema zu bekommen, Fragen zu stellen und sich Wissen durch Fallbeispiele zu erarbeiten. Wie müssen BEM-Gespräche vorbereitet werden? Welche Wendungen kann ein BEM-Verfahren nehmen und wie lassen sich Stolperfallen vermeiden. Das alles steht in keinem Gesetz.
Das erfahren Sie aber in unserer Weiterbildung „Betriebliches Eingliederungsmanagement“, die wieder im Juli startet.