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04.08.2021

Nach der Pflicht kommt die Kur

Jahrhundert-Turnerin Simone Biles (24) konnte dem psychischen Druck nicht länger Stand halten und hat nach dem ersten von vier Geräten im Mannschaftsfinale die Reißleine gezogen. Und auch der Gold-Traum von Japans Tennis-Star Naomi Osaka (23) entpuppt sich nach der Achtelfinalniederlage gegen Marketa Vondrousova immer offensichtlicher als schleichender Alptraum, der sich mit der Aufgabe in Paris und dem Verzicht auf Wimbledon bereits andeutete. Wie wichtig eine präventive und begleitende, sportpsychologische Betreuung von Leistungssportlern ist, zeigen neue Forschungsergebnisse der IST-Hochschule.

Negativer Stress, dauerhafte Belastungen, die nicht zu bewältigen sind, permanenter psychischer Druck und das Gefühl, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, treiben immer mehr Leistungssportler an ihre Grenzen. Und darüber hinaus. Die Zahl der Top-Athleten, die unter psychischen Erkrankungen wie Erschöpfungsdepression oder Angststörung leiden und damit auch mehr und mehr an die Öffentlichkeit gehen, steigt.

Wie hoch der Druck im Leistungssport ist, hat Daniela Potapova, selbst frühere Spitzensportlerin und Sportbusiness-Studentin an der IST-Hochschule, jetzt in ihrer Bachelor-Arbeit am Beispiel von Leistungsturnern untersucht. Dazu interviewte sie unter anderem auch Deutschlands Turn-Olympia-Held von 2016, Andreas Toba, der mit Kreuzbandriss weiterturnte. „Athletinnen und Athleten im leistungsorientierten Turnsport unterliegen einem Dauerstress. Die Stressoren haben einen erheblichen Einfluss auf die Konzentration und Aufmerksamkeit im Training und Wettkampf, was schließlich zu akuten Schmerzen und auch Verletzungen führen kann.“ Zudem habe die Studie laut Potapova gezeigt, dass das Thema Stress im Turnen von den Athleten und Trainern zwar wahrgenommen werde, man daraus bislang aber keine präventiven Maßnahmen ableite.

Es braucht mehr Sportpsychologen
Wie wichtig hier ein Umdenken zu mehr sportpsychologischer Betreuung und Begleitung wäre, weiß Prof. Dr. Gerhard Nowak, Dekan Sport & Management der IST-Hochschule: „Jede sportliche Leistung erfordert neben den physischen Anforderungen immer auch ein Maß an psychischer Belastung. Nur die Bewältigung beider Komponenten ermöglich die maximale Leistung. Gelingt die Bewältigung nicht und erkrankt der Athlet dadurch psychisch, bedarf es immer professioneller Hilfe. Und das so früh wie möglich in der sportlichen Karriere. Ein weiterer Fall Enke mit dem vollzogenen Selbstmord muss verhindert werden.“ Helfen könne hier, so der Sportwissenschaftler, eine frühere und flächendeckendere Betreuung der Athleten durch ausgebildete Mentaltrainer und Sportpsychologen.

Biles als positives Beispiel
Auch Potapova, die als rhythmische Sportgymnastin selbst bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro startete, sieht dringenden Handlungsbedarf. „Der mentale Druck im Leistungssport ist extrem hoch. Sportler müssen immer 100 Prozent Leistung bringen, um ihre eigenen Erwartungen, aber auch die von Freunden, Familie, Fans, Verbänden und Sponsoren zu erfüllen. Dazu kommt die mediale Aufmerksamkeit wie bei Biles. Wenn man dann im Mannschaftssport nicht abliefert, wird man sehr schnell ersetzt. Es muss endlich mehr Akzeptanz dafür geschaffen werden, dass Sportler keine Maschinen sind, sondern auch nur Menschen, denen Fehler passieren können. Ich hoffe, dass der Abbruch von Biles als positives Beispiel diese Diskussion vorantreiben wird!“

Die Relevanz dieses Themas hat auch das IST erkannt und bietet mit der Weiterbildung Sport-Mentaltraining eine gezielte Fortbildung für Trainer, Athleten und Betreuer. Ab Oktober kann zudem das Hochschulzertifikat Sportpsychologie einzeln belegt werden, was seit letztem Jahr das Angebot der Wahlmodule in unserem Bachelor Sportbusiness Management ergänzt.